Unsere Gastgeber Claire & Ray fragten uns beiläufig, ob wir Interesse hätten, eine Pastafabrik anzuschauen. Natürlich hatten wir! Diese Gelegenheit wollten wir uns während des Urlaubs in den Marken, im vergangenen September nicht entgehen lassen! Von einem Experten zu erfahren, wie eine gute Pasta produziert wird - worauf es wirklich ankommt - diese Möglichkeit bietet sich nicht alle Tage! Ein paar Tage später stehen mein Mitbewohner und ich am Empfang der Firma Mancini und staunen. Das Staunen hatte schon bei der Anfahrt begonnen. Nachdem man von einer Seite aus Monte San Pietrangelo den Hügel hinunterfährt, geht es auf der anderen Seite wieder leicht hinauf. Das Fabrikgebäude liegt gut getarnt auf einem frisch umgepflügten Feld. Trotzdem sehen wir es schon von Weitem. Für die Gegend ein achitektonisch ungewöhnlicher Bau.
Holz, Beton und Glas sind die vorherrschenden Materialien. Modern, stylish, ungewohnt für Italien, dem Land des Designs, dem man im Alltag dennoch eher selten begegnet - der erste Kommentar des Mitbewohners: das schaut aus, wie die moderne und spezielle Holzarchitektur im Bregenzerwald in Vorarlberg. Wie sich später herausstellt, liegt er damit nicht so weit daneben. Das Gebäude wurde vom italienischen Architekten Ernesto Pauletti entworfen und von einer deutsch-österreichischen Firma errichtet.
Am Empfang begrüsst uns die Frau von Massimo Mancini herzlich und freundlich. Man spürt, dass in diesem Familienbetrieb Besucher nicht alltäglich sind. Als Massimo erscheint, sind wir bereits mit weissen Mäntelchen und weisser Mütze eingekleidet. Wir beginnen die Tour im Mehllager. Der Weizen aus eigenem Anbau, wird in einer nahegelegenen Mühle frisch gemahlen. Das Land hatte schon Massimos Grossvater bewirtschaftet. Das Mehl wird in zwei überdimensional grossen Stoffsäcken gelagert. 5 Meter hoch dürften sie sein. Die gemahlene Menge reicht genau für 2 Wochen, dann wird das Getreide wieder frisch gemahlen und verarbeitet. Für die Pasta werden die Hartweizensorten Levante und San Carlo verwendet.
Weiter geht es zur Teigmaschine. Mehl, Wasser und Salz werden vermischt. Der Wasseranteil beträgt ca. 30%. Die bröselige Masse wird in einen Trichter eingefüllt. Am unteren Ende kommt die Pasta aus der Extruderform. 7 solcher, eigens für sie hergestellte, Bronze-Extruderformen besitzt die Firma Mancini. 8 Sorten Pasta werden daraus hergestellt - Spaghetti, Spaghetti alla chitarra, Trenette, Tuffoli, Mezze Maniche, Maccheroni, Fusilli und Penne.
Bei unserem Besuch werden gerade Spaghetti produziert - die am meisten verkaufte Pasta. Am Ende der Produktionsstrasse werden sie auf einem Metallgerüst aufgehängt und kommen anschliessend für 25 Minuten in ein mit Tannenholz verkleidetes Gestell, welches auf einer Seite geöffnet ist. Das Holz nimmt die Feuchtigkeit der Pasta schnell auf, so wird der Trocknungsprozess eingeleitet. Dazu muss auch die Umgebungstemperatur stimmen: 25° C bei 62° Luftfeuchtigkeit sind ideal. Anschliessend wird die Pasta ohne Holzgestell in den eigentlichen Trocknungsraum geschoben. Bei 40° C wird sie 2 Tage langsam getrocknet. Und genau das ist der entscheidende Punkt. Das langsame Trocknen ist bestimmend für Qualität, Geschmack und Textur der Pasta. Industrielle Massenpasta wird schnellgetrocknet. Zeit ist Geld. Durch die schnelle Trocknung bekommt die industriell gefertigte Pasta eine gelbliche Farbe - und das ganz ohne Ei. Bei Pasta Mancini ist das anders. Die Verwendung einer guten Hartweizensorte ist die Grundlage, die langsame Trocknung das Entscheidende für den guten Geschmack.
Massimo Mancini hat in Bologna Agrarökonomie studiert, 1 Jahr bei Barilla in der industriellen Pastaherstellung gearbeitet und weiss wovon er spricht. Seit 1995 produziert er im elterlichen Betrieb Pasta, seit April 2010 im neuen Gebäude. Zusammen mit 10 Mitarbeitern in Produktion und Logistik werden jedes Jahr ca. 6'000 Tonnen eigener Hartweizen zu Pasta verarbeitet. Es ist ein klassischer Familienbetrieb auf dem Lande.
Im oberen Stockwerk des Gebäudes befindet sich ein Veranstaltungsraum, in dem auch die Produktpalette präsentiert wird. Boden und Wände sind aus Beton, die Möblierung weiss und schlicht, die Bilder an der Wand schwarz-weiss. Ästhetisch und für's Auge gefällig. Massimo Mancini hat Grosses vor. Er möchte die besten italienischen Küchenchefs in die Region bringen und in seiner Firma kulinarische Abende veranstalten. Wir setzen uns an einen Tisch und Massimo philosophiert über Pasta. Nicht nur das Gebäude ist von purer Erscheinung, auch seine Pasta kommt ihm so auf den eigenen Teller. Am liebsten mag er sie mit ein wenig bestem Olivenöl. Sonst nichts. So komme der Geschmack am Besten zur Geltung. Er ist stolz die Tradition seines Vaters und Grossvaters fortführen zu können, auf dem schon seit Generationen in Familienbesitz befindlichen Land, fortführen zu können. Ständig auf der Suche nach dem besten Geschmack. Nach Perfektion.
Kontakt: Azienda Agricola Mancini, Via San Biagio 56, IT-63010 Monte San Pietrangelo, Tel. 0039 0734 969311
Pasta-Fakten:
Die Pasta in der Form wie wir sie heute kennen, stammt wahrscheinlich aus dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris. Schon die Seefahrer wussten, dass sie am Besten schmeckt, wenn sie in Salzwasser gekocht wird und haben dafür Meerwasser verwendet. In Italien gibt es ca. 140 Pastaproduzenten. Es sind, wie Pasta Mancini, hauptsächlich Familienbetriebe, die in 3. und 4. Generation produzieren. In Italien werden jährlich 24 kg Pasta pro Kopf gegessen, in der Schweiz sind es 8 kg. Das Land mit dem zweithöchsten Pastaverbrauch nach Italien ist erstaunlicherweise Venezuela.
15.01.2012
Beeindruckend: Lage, Gebäude und die Leidenschaft zur Pasta!
15.01.2012
Beeindruckend und sympathisch. Leider kein Bio-Getreide, oder doch?
16.01.2012
@Micha: das fand ich auch!
@eline: nein, leider nicht. Das war das einzige "Manko".
18.01.2012
Sehr schoene Fotos und interessant geschrieben. Danke schoen.
30.01.2016
6'000 Tonnen eigener Hartweizen? Klassischer Familienbetrieb?
Ausgehend von einem Ertrag von 75dt/ha ergibt das eine Anbaufläche von 800 ha.
In Italien betrug 2010 die durchschnittliche landwirtschaftlich genutzte Fläche pro Betrieb gerade einmal 7,9 ha.
800 ha haben nichts mehr mit einem Familienbetrieb zu tun.